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PODIUM Esslingen trauert um Dorine Mokha

Ein Text von Steffen Greiner

Der kongolesische Choreograf, Autor und Tänzer, der in der mehrjährigen Zusammenarbeit bei der PODIUM-Produktion „Herkules von Lubumbashi“ bei vielen Menschen großen Eindruck hinterlassen hat, starb am 08.01.2021 im Alter von 31 Jahren.

„Die Utopie gibt uns die Möglichkeit uns vorzustellen, dass nicht alles immer genau so weiter gehen muss und welche Weichen wir heute stellen könnten, damit die Zukunft anders verlaufen könnte. Im Kongo redet man viel zu oft von Hoffnung, um zu verhindern, dass jemand irgendetwas unternimmt, um die Dinge mal zu verändern. Hoffen, genauso wie glauben, heißt auch immer stillstehen und warten. Die Utopie kann viel mehr verändern, indem sie aufzeigt, was ich heute tun kann“, sagte Dorine Mokha 2019 im Gespräch mit PODIUM zum Stück „Herkules von Lubumbashi“, das er gemeinsam mit dem Komponisten Elia Rediger konzipierte und aufführte. Die Kraft, mit seinem Schaffen diese Weichen zu stellen, auch wenn die Hindernisse unüberwindbar scheinen, zeigte Mokha nicht nur in seiner Kunst, sondern auch im Leben. Mit dem jungen Choreografen, Autoren und Tänzer verliert nicht nur das postdokumentarische Musiktheater eine wichtige Stimme, sondern auch die kongolesische Kunstszene eine ihrer mutigsten Figuren.

Mokha wurde 1989 in Lubumbashi geboren, der zweitgrößten Stadt der Demokratischen Republik Kongo und ein Zentrum der afrikanischen Montanindustrie. Er ist das Kind von Beschäftigten der Industrie, die das Leben im Süden des Kongo prägt – heute sind die Rohstoffe, die in den Minen abgebaut werden, vor allem Coltan und Kobalt, wichtige Grundstoffe der meisten elektronischen Geräte. Den Wünschen seines Vaters gemäß studierte er Jura, entschied sich aber gegen den Anwaltsberuf und für eine Tanzausbildung. Sein erstes eigenes Stück feierte 2013 Premiere, es folgten zahlreiche Projekte in Europa und Afrika, die oft das Schicksal der früheren belgischen Kronkolonie Kongo thematisieren und mit seinen eigenen Erfahrungen verbinden. In Deutschland war er beispielsweise im Berliner HAU zu sehen, als Stipendiat des Stuttgarter Schlosses Solitude oder bei den Theaterformen Hannover. Die PODIUM-Produktion des „Herkules“ wurde nicht nur in Esslingen, Basel, Düsseldorf und Berlin aufgeführt, sondern auch in Lubumbashi selbst, wo die Erzählung von der utopischen Überwindung der korrupten Machenschaften der Großunternehmen noch einmal eine ganz eigene Stärke entfaltete.

Trotz des zunehmenden Erfolgs seiner Projekte in Europa blieb Mokha im Kongo. Seine Projekte sollten die postkoloniale Konfrontation mit afrikanischen Stimmen im Norden verbinden mit einem nachhaltigen Aufbau von Kunststrukturen in seiner Heimat. Während sein eigenes Charisma, die Filigranität seines Tanzes auf der Bühne und die Geschwindigkeit seines Denkens abseits davon ihn fast zwangsläufig exponierten, war es sein Verdienst, doch immer die Arbeit im Kollektiv zu suchen, die Aufmerksamkeit auf andere, junge, unbekannte Kunstschaffende zu lenken. Seine Stücke führte er nicht als Bittsteller einer gnädigen europäischen Kulturförderung auf – er sah vielmehr diese in der Pflicht, seine Arbeit an den Folgen weißer Ausbeutung von Mensch und Rohstoff auf dem afrikanischen Kontinent auch als Teil ihrer notwendigen Arbeit zu begreifen. In den letzten Jahren seines jungen Lebens offenbarte er sich als homosexuell und stieß damit im konservativen Umfeld der kongolesischen Mehrheitsgesellschaft auf Widerstände. Er verstand dies nur als einen weitere kleinen Preis für ein offenes Leben nach seinen Bedingungen. Zugleich konnte er aber als wichtige Stütze der Kultur in Lubumbashi so auch der lokalen LGBTQI*-Szene ein Gewicht und eine Sichtbarkeit geben, die im Kongo noch immer selten ist.

Am 08. Januar 2021 ist Dorine Mokha überraschend gestorben. Das Team von PODIUM Esslingen trauert um einen Künstler, der in der mehrjährigen Projektlaufzeit des „Herkules“ bei vielen Menschen großen Eindruck gemacht hat, auf der Bühne wie in der persönlichen Begegnung. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Freund*innen. Wir wünschen Dorine Mokhas Umfeld in Lubumbashi und Kisangani, wo er lange lebte, viel Kraft und hoffen, dass die seine dort lange nachhallen wird. Und Weichen stellt.

Dorine Mokha

Foto: Stefanie Kulisch